Samstag, 02. November 2024, Westfälischer Anzeiger Hamm / Hamm
Familien auf der Flucht
20 Stolpersteine erinnern an Opfer des NS-Regimes
Einer von 20 neuen Stolpersteinen: Auf dem Gehweg an der August-Brust-Straße 5 wird an den Widerstandskämpfer Richard Elsner erinnert. Hier befand sich seine letzte frei gewählte Anschrift vor seinem KZ-Aufenthalt. © Andreas Rother
Hamm – Mit 20 neuen Stolpersteinen an sieben Adressen wird seit Mittwoch an Hammer Opfer des Nationalsozialismus erinnert. Die jüdischen Bürger und Widerstandkämpfer wurden in einer Gedenkfeier in der Aula der Friedensschule gewürdigt. Die Biographien hatte die Stolperstein-AG der Gesamtschule erstellt.
Die Kaufmannsfamilie Halle (Hohe Straße 14 und Grünstraße 78) machte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts einen Namen in der Metallverwertung. Albert und Johanna Halle, ihre Kinder Max, Selma und Siegfried sowie dessen Ehefrau Ilse und die Kinder Ernst und Marianne konnten sich zwar ins amerikanische Pittsburgh flüchten, wurden aber um Firma und Heimat gebracht.
Der Rechtsanwalt Alfred Michaelis (Hohe Straße 59) wurde inhaftiert und aus dem Beruf gedrängt. Mit Ehefrau Paula und den Kindern Elisabeth, Ruth, Herbert und Susanne wurde er am 9./10. November 1938 überfallen, die Wohnung geplündert. Den Michaelis‘ gelang die Flucht nach Südafrika.
Helene Lauter (Hohe Straße 74) war Eigentümerin des Kaufhauses Alsberg (später Kaufhof). Sie musste das Unternehmen zwangsweise an den NS-Geschäftsmann Franz Fahning verkaufen und entkam den Schergen in der Nacht des 9. November nur knapp. Sie wanderte in die USA aus.
Die Gersons (Ostenallee 86) gehörten zur Spitze der städtischen Gesellschaft. Rechtsanwalt Ernst Gerson musste seine Villa 1938 unter Wert an die Stadt verkaufen. Das Museum brachte sich für wenig Geld in den Besitz eines seiner Gemälde. Gerson gelang mit Ehefrau Charlotte und Tochter Hilde die Flucht nach Schweden.
Walter Poller (Lindenfelder Weg 43) leistete den Machthabern als Sozialdemokrat Widerstand. Der Journalist und Schriftsteller war ab 1933 inhaftiert und kam ins Konzentrationslager Buchenwald. Einen ähnlichen Weg ging auch Richard Elsner (August-Brust-Straße 5), der sich ebenfalls im Widerstand der Arbeiterbewegung engagierte.
Oberbürgermeister Mark Herter würdigte die Verfolgten und die Aufarbeitung ihrer Lebenswege durch die Friedensschüler und das Stadtarchiv. Christian Küchen zeigte sich als Vertreter der Gerson-Familie bewegt: Die Familie lebe hier nicht mehr, habe in den vergangenen Jahren aber eine neue Beziehung zur Stadt aufgebaut und viel Wertschätzung erfahren.
Herter und Küchen zeigten sich besorgt über antidemokratische und antisemitische Tendenzen in der Gesellschaft. Er sei sich sicher, dass die schweigende Mehrheit zu Demokratie und Meinungsfreiheit stehe, sagte Küchen. Deshalb müsse die Mehrheit aufhören zu schweigen.
JÖRN FUNKE
Die Stolpersteine
Seit 2008 sind 131 Stolpersteine in Hamm verlegt worden. Die kleinen Steine im Straßenpflaster werden an der letzten frei gewählten Adresse eines Verfolgten angebracht. Sie nennen Namen, Lebensdaten und geben einen Hinweis auf den Grund der Verfolgung durch die Nationalsozialisten. Der Hammer Geschichtsverein bittet um Spenden für die Aktion (www.geschichtsverein-hamm.de).